Ist Leonardo Genoni der beste Schweizer Goalie der Neuzeit? Über diese Frage lässt sich durchaus streiten. Fakt ist hingegen: Er ist der erfolgreichste Schweizer Goalie. Punkt. Dreimal Meister in Davos, zweimal Meister in Bern und zuletzt zweimal Meister in Zug. Plus WM-Held von 2018. Sein Vertrag in Zug läuft aus. Er pflegt seine Zukunft früh zu regeln. Das ist klug. Dann entfallen alle Spekulationen während der Saison, er wird nicht nach jedem Spiel nach seinen Zukunftsplänen gefragt und hat seine Ruhe. Noch vor seiner letzten Saison in Bern (Meister 2019) hat er im Sommer 2018 in Zug unterschrieben. So gesehen ist er jetzt spät dran.
Auch Zugs Sportchef Reto Kläy ist an einer baldigen Entscheidung sehr interessiert: Die ersten Vertragsgespräche führe er mit Leonardo Genoni und alles andere müsse warten. «Ob wir uns noch vor der Saison einigen, ist offen. Aber die Entscheidung wird bald fallen.» Nach ersten Gesprächen ist er zuversichtlich: «Wir haben die Situation besprochen: Wir wollen mit ihm verlängern und er kann sich vorstellen, weiterhin bei uns zu spielen.»
So weit so einfach. Und doch sind es für Zugs klugen Sportchef so ziemlich die heikelsten Vertragsgespräche seiner bald zehnjährigen Amtszeit: Einerseits will er Leonardo Genoni unbedingt halten. Aber anderseits ist auch klar: Der Lohn muss runter. «Nun ja, es ist tatsächlich eine besondere Situation: Einerseits sage ich einem Spieler, dass wir weiterhin auf ihn setzen, aber andererseits muss ich ihm auch erklären, dass wir weniger Lohn bezahlen werden.»
Die Ausgangslage: Im Sommer 2018 hat Leonardo Genoni in Zug einen Fünfjahresvertrag bis 2024 (Arbeitsbeginn im Sommer 2019) unterschrieben. Für ziemlich exakt vier Millionen Franken brutto. Mit 800'000 Franken Jahreslohn ist er zu diesem Zeitpunkt der wahrscheinlich teuerste Schweizer Spieler der Liga. Er ist jeden Rappen seines Gehaltes Wert. Zug ist 2021 und 2022 Meister geworden.
Am 28. August wird Leonardo Genoni 36 Jahre alt. Die Frage ist durchaus berechtigt: Kann er nach wie vor sein bestes Hockey spielen? Letzte Saison war er statistisch während der Qualifikation zeitweise nur noch die Nummer 15 und zum ersten Mal überhaupt fiel seine Fangquote unter 90 Prozent (89,80 Prozent). Aber in den Playoffs haben wir wieder den wahren Leonardo Genoni gesehen (Fangquote 93,40 Prozent). Am Scheitern im Halbfinal war er unschuldig. Und dass Patrick Fischer im WM-Viertelfinal gegen Deutschland auf Robert Mayer statt Leonardo Genoni setzte, war – wie sich hinterher herausgestellt hat – ein Irrtum. Kommt dazu: Leonardo Genoni ist ein Musterprofi vom Scheitel bis zur Sohle. Auf und neben dem Eis eine der wichtigsten Persönlichkeiten im Zuger Hockey-Universum.
Torhüter altern weniger schnell als Feldspieler und Leonardo Genoni ist sowieso topfit. Martin Gerber hat Kloten 2014 noch im Alter von 39 Jahren mit einer Playoff-Fangquote von 93,30 Prozent in den Final gehext. Eigentlich ist das Risiko bei einer Vertragsverlängerung mit Leonardo Genoni gleich null. Sogar eine Prolongation um drei Jahre wäre nicht zu hinterfragen.
Reto Kläy strebt eine Verlängerung um zwei Jahre an. Aber zu welchem Preis? Er ist ein freundlicher, smarter Sportchef mit Sinn für Humor und Selbstironie. Aus dem Lohn-Nähkästchen plaudert er nicht und stellt dem Chronisten die Gegenfrage: «Was würden Sie offerieren?» Nun, eine Million für zwei weitere Jahre. Eine Million vor der «Pension» tönt gut. Mit 500'000 Franken pro Saison ist Leonardo Genoni immer noch weitaus günstiger als ein ebenbürtiger ausländischer Goalie und Zug kann weiterhin sechs ausländische Feldspieler einsetzen. «Wenn Sie eine Verlängerung zu diesem Preis schaffen, haben Sie gut verhandelt.» Das lässt Reto Kläy so gelten und sagt: «Ja, wahrscheinlich haben Sie recht …»
Aber halt: Ist da nicht noch die «Versuchung ZSC Lions»? Die Möglichkeit, nach Davos, Bern und Zug mit einem vierten Team Meister zu werden. Es wäre ein filmreifer Karriere-Herbst: Bei den ZSC Lions ist Leonardo Genoni ausgebildet worden. 2014 hat er Zürich still und leise verlassen, weil er keine Chance hatte, in Konkurrenz von Ari Sulander die Nummer 1 zu werden. Und jetzt eine Rückkehr mit Pauken, Trompeten und Fanfarenklängen durch die Vordertüre. Ach, das wäre eine Story.
Tatsächlich hat sich ZSC-Sportchef Sven Leuenberger schon im Sommer 2018 vergeblich um Leonardo Genoni bemüht und ist immer noch interessiert. Aber er weiss auch: Bei einer so aussergewöhnlichen Spielerpersönlichkeit wie Leonardo Genoni macht es keinen Sinn ständig zu «stürmen» und mit Geld ist die Sache sowieso nicht zu gewinnen. Kommt er zum Schluss, für ihn sei Zug die bessere Lösung, dann bleibt er in Zug und mit Geld hat diese Entscheidung nichts zu tun.
Also sagt Sven Leuenberger mit der Gelassenheit und Klugheit aus vielen, vielen Jahren in diesem Geschäft: «Leo weiss, dass wir interessiert sind und hat meine Nummer.» Hat er schon angerufen? «Nein, noch nicht …»